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Was ist wahre Schönheit?

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Erinnern Sie sich an Kim Novak, geschätzte Leserschaft? Kim Novak ist eine amerikanische Schauspielerin, die in Alfred Hitchcocks «Vertigo» eine Hauptrolle innehatte. Das war 1958, vor über einem halben Jahrhundert. Seitdem ist nicht mehr viel passiert in Frau Novaks Schauspielkarriere. Trotzdem war sie unlängst in aller Munde, und zwar weil sie im März bei der Oscar-Verleihung aufgetreten ist, an der Seite von Matthew McConaughey. Das war nicht schockierend, doch schockierend war: Frau Novaks Gesicht. Das sah aus wie eine entgleiste Kabuki-Maske. Ein Sturm erhob sich in sozialen Netzwerken und in der Presse, Donald Trump (of all people) empfahl per Twitter, Frau Novak solle «ihren plastischen Chirurgen verklagen». Kim Novak, meine Damen und Herren, ist 81. Sie sieht nicht aus wie 81. Sie sieht nach überhaupt keinem Alter aus. Sondern wie ein Fabelwesen, irgendwo zwischen 55 und 105.

Nun hat Kim Novak sich in einem offenen Brief zu Worte gemeldet, und in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP. Sie werde sich jetzt nicht länger zurückhalten, erklärte Frau Novak, sondern gegen all die Gemeinheiten aufstehen und kämpfen. «Ich werde nicht leugnen, dass ich mir Fettinjektionen ins Gesicht geben liess», schrieb Novak, «die schienen weitaus weniger invasiv als ein Facelift. Meiner Auffassung nach hat jede Person das Recht, so gut auszusehen wie möglich, und ich persönlich fühle mich besser, wenn ich besser aussehe.» Weiterhin schrieb Novak, dass ihre Sprechweise bei den Oscars, die von einigen Beobachtern als stockend charakterisiert wurde, das Ergebnis einer Pille war, die sie vorher zur Entspannung geschluckt hatte, sowie die Folge einer dreitägigen Fastenkur. Ausserdem fand Novak es verstörend, dass Oscar-Gastgeberin Ellen DeGeneres von der Bühne einen Scherz auf Kosten von Liza Minnelli (68) unternommen hatte; das sei, genau wie die Kritik an ihrer, Novaks, Person, Altersdiskriminierung.

What a jet stream of bullshit. Dazu ein paar Anmerkungen:

1. Es ist richtig, dass unsere spätmoderne Gesellschaft in einer Art doppelten Schizophrenie lebt: Einerseits scheinen viele Normen suspendiert zu werden, andererseits wird offenbar über alle sozialen Fragmentierungen hinweg gerade in Fragen der äusseren Erscheinung der Normierungsdruck immer stärker. Dabei gilt die mutmasslich «natürliche Schönheit», egal wie falsch sie tatsächlich sei, immer noch als Ideal; der offensichtlich manipulierte und derart ausgestellte Körper jedoch wird zum Menetekel, zum Wahrzeichen von Oberflächlichkeit und wahnhafter Ich-Idealisierung. Nun war es allerdings in der Zivilisationsgeschichte (jedenfalls in der westlichen) schon immer so, dass die auf den Effekt bedachte Äusserlichkeit, die ausgestellte Schönheit, nicht mehr als schön, sondern als affektiert und anmassend empfunden wird. Sobald das Geltungs- und Anpassungsinteresse allzu unverhohlen in den Vordergrund tritt, wird es peinlich. Wahre Schönheit, meine Damen und Herren, hängt immer mit Anmut zusammen, mit Grazie. Auch ein Football Player kann Grazie haben, das ist nichts Feminines oder Effeminiertes, aber es hat mit Selbstvergessenheit zu tun, mit Nichtgewolltheit. Nichtgewollt jedoch ist nun unter anderem das Gegenteil von Kim Novaks Gesicht. Es ist ein Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts, wenn Sie mich fragen, dass maskenhafte, forciert alterslose, leere Gesichter, aus denen nichts spricht als der Wunsch nach Anerkennung, sich der Kritik aussetzen. (Das hat auch nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun: Auch die gefrorenen Züge und das volle, dunkle Haar von John Travolta, 60, waren nach seinem Auftritt bei den Oscars Anlass für Spott.) Denn Gesichter wie jenes von Frau Novak, die aussehen wie im Windkanal festgefroren, zeigen vor allem Fremdbestimmung und Unselbstständigkeit. Dafür dann Hollywood die Schuld zu geben, ist ein bisschen billig. Wir sind nicht mehr im Jahr 1958.

2. Mit Liza Minnelli hat die Kritik am Gesicht von Frau Novak überhaupt nichts zu tun. Auch nicht mit Kim Novaks Alter. Sondern mit der Würdelosigkeit ihres Alterns.

3. Fettinjektionen? Come on. Fettinjektionen sind wohl bei weitem nicht das Einzige, was diesem Gesicht widerfahren ist, das immerhin den Eindruck erweckt, dass ein erklecklicher Prozentsatz von ihm irgendwie hinter den Ohren versteckt ist. «I realized that I had to stand up not only for myself but for other people that don't have the courage to do so», deklarierte Frau Novak in ihrem Statement, «I feel like I have a mission.» Worin besteht diese Mission? Darin, dass es okay ist, wie ein Monster auszusehen, weil man sich dem Jugendwahn beugt, bis man ins Grab kippt? Danke für Backobst, Kim Novak! Geh mal nach Hause und nimm noch ne Pille!

Und, da wir von Schönheit sprechen: eines der schlimmsten Produkte, die mir kürzlich über den Weg gekommen sind, sehen Sie auf dem Foto oben: Öko-Kleenex. «Recycling Extra Soft». Eurgh! Wenn das «extra soft» ist, ist Kim Novak natürlich gealtert! Auf der Rückseite der Verpackung steht zur Anpreisung dieser Ökotücher: «Kaum zu glauben, dass sie aus 100 Prozent recycelten Papierfasern hergestellt werden.» In der Tat kaum zu glauben, denn die Dinger sind wie kleine Sperrholzbrettchen. «Durch ein 11-stufiges Reinigungs- und Deinkingverfahren genügen sie höchsten optischen und hygienischen Ansprüchen» steht ausserdem auf der Rückseite. Meh. Klingt ziemlich aufwendig für so’n Ökozeug. Ich bin ja im Grundsatz sehr für die Rettung des Planeten, aber das ist der falsche Weg. Good bye, then.


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